Im Krieg

Der Glaube ist keine immerwährende Kaffeefahrt!

Wenn Robert Sedlatzek-Müller auf eine Feier eingeladen ist und die Männer über Winterreifen, die Frauen über Schuhe reden, kann er nicht mehr mit. Sedlatzek-Müller lebt im Krieg, und es erscheint ihm befremdlich, sich über solche Belanglosigkeiten auszutauschen — und dies wiederum befremdet seine Mitmenschen. Mitten in Deutschland lebt er in einer komplett anderen Welt als die Mehrheit der Gesellschaft.

Vor acht Jahren, in Afghanistan, demontieren Kameraden des Hundeführers eines Kampfmittelspürhundes eine sowjetische Flugabwehrrakete, ein Überbleibsel aus dem afghanisch-sowjetischen Krieg. Diese explodiert, er wird durch die Luft geschleudert, verletzt, von umherfliegenden Körperteilen seiner Kameraden getroffen, die dann überall verstreut liegen. Fünf ISAF-Soldaten sind tot, mehrere verletzt.

Zurück in Deutschland, ist für den Soldaten nichts mehr wie zuvor. Er wird aus der Bahn geworfen. Seine Erfahrungswelt ist so grundverschieden von derjenigen seiner Umgebung, daß er sozial immer mehr isoliert wird. Die Gesellschaft gibt dem Problem zwar einen Namen — »Postraumatische Belastungsstörung« (PTBS) — hilfreich damit umgehen kann sie nicht. Er wird als Kranker, als Behinderter eingeordnet, zusammen mit einer zunehmenden Zahl von Soldaten und anderen Einsatzkräften, die aus Kampfgebieten zurückkehren. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben einen Preis, von dem die meisten nichts wissen. Wer aus der Bundeswehr ausscheidet, für den fühlt sich unter Umständen irgendwann niemand mehr zuständig. Ein Freund Sedlatzek-Müllers, der die eingangs erwähnte Explosion in Afghanistan ebenfalls überlebte und kaum noch arbeitsfähig ist, bezieht heute Sozialhilfe.

Wer aber lebt nun eigentlich in der richtigen, der tatsächlichen, realen, der echten Welt? Der Soldat, für den der Krieg jederzeit real ist, der diesen nicht hinter sich zurücklassen kann, oder jene Zeitgenossen, die vollständig in den banalen Kleinigkeiten ihres Alltags aufgehen, für die Afghanistan im besonderen und das Elend dieser Welt im allgemeinen so entfernt ist, daß es allenfalls gelegentlich als academisches Theorem auftaucht?

Warum erzähle ich diese Geschichte? Weil ich in der Herausgerufenen[G] ganz ähnliche Verhältnisse sehe. Da sind einerseits diejenigen, die wissen, daß sie sich im Krieg befinden, die in einem täglichen geistlichen Kampf stehen, die sich mühen um das Wort und leiden am Zustand der Herausgerufenen,[G] die darum ringen, daß Christos in ihnen Gestalt gewinnt. Und dann sind da die anderen, für die das Christsein ein einziges großes Unterhaltungsprogramm ist — mit netten Leuten, erbaulichen Predigten, hübscher Musik und bizarren Gimmicks. Beide Gruppen können sich kaum verständigen, da sie sich in völlig unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten bewegen. Aber wer lebt hier in der realen Welt, wer in einer Scheinwelt?

Sedlatzek-Müller sind noch weitere dramatische Dinge begegnet. Im Kosovo war er in einem Minenfeld verirrt, mit dem Fallschirm ist er zweimal abgestürzt, von einem UCK-Kämpfer hat er mit dem Gewehrkolben die Schneidezähne ausgeschlagen bekommen. Die verschiedenen Erlebnisse des Stabsunteroffiziers lassen mich an Paulos denken, der an die Korinther (2. Kor. 11, 23ff) schreibt:

… in Mühen übermäßiger, in Gefängnissen übermäßiger, unter Schlägen überreichlich, oftmals in Todesgefahr. Von Juden erhielt ich fünfmal vierzig Schläge weniger einen. Dreimal wurde ich mit Ruten gepeitscht, einmal wurde ich gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag habe ich im Sumpf verbracht. Oftmals unterwegs, war ich Gefahren durch Ströme ausgesetzt, Gefahren durch Wegelagerer, Gefahren durch mein eigenes Geschlecht, Gefahr durch die Nationen, Gefahren in der Stadt, Gefahren in der Wildnis, Gefahren auf dem Meer, Gefahren unter falschen Brüdern.
 Dazu unter Mühe und Anstrengung, oftmals in durchwachten Nächten, in Hunger und Durst, oftmals in Fasten, in Kälte und Blöße; ohne was sich außerdem bei mir zuträgt: Das tägliche Überlaufenwerden, die Sorge für alle Herausgerufenen.

Über die Helden des Alten Bundes lesen wir im Hebräerbrief (H. 11, 36ff):

Andere wieder nahmen Anfechtung durch Verhöhnung und durch Geißelung auf sich, dazu noch durch Fesseln und Gefängnis. Sie wurden gesteinigt, zersägt, wurden angefochten, starben durchs Schwert ermordet, zogen in Schaffellen und in Ziegenhäuten umher, litten Mangel, wurden bedrängt, erduldeten Übles. Sie, deren die Welt nicht würdig war, irrten in Wildnissen, auf Bergen, in Höhlen und Löchern der Erde umher.

Nun wäre es eine unzulässige Verkürzung dieser Aussagen, sie auf bestimmte Verfolgungssituationen zu beschränken; vielmehr ist der geistliche Kampf die gewöhnliche Lebenswirklichkeit eines jeden Christen, auch wenn dieser Kampf sehr unterschiedlicher Art sein kann. Aber jeder von uns ist in eine gefallene Welt hineingestellt, in der wir den Anspruch Gottes vertreten sollen. Bei dieser Konstellation kann es also eigentlich nur krachen. Und wer sich nicht diesem Kampf durch Fahnenflucht entzieht, wird das auch an vielen Stellen zu spüren bekommen. Es gilt (2. Tim. 3, 12):

Aber auch alle, die wohlehrend leben wollen in Christos Jesus, werden verfolgt werden.

Von dem biblischen »alle« ist niemand ausgenommen. Eigentlich sollte das klar sein, aber man muß doch immer mal wieder daran erinnern. Freilich: Wessen höchstes Ziel es ist, den religiösen Betrieb aufrechtzuerhalten, wer sich investiert, um den »Unterhaltungsbetrieb Kirche« auszubauen, der wird davon gar nichts mitbekommen. Er lebt buchstäblich in einer anderen Welt als derjenige, der im geistlichen Krieg steht, sie haben einen unterschiedlichen Erfahrungshorizont, sprechen eine unterschiedliche Sprache, auch wenn sie dem flüchtigen Beobachter als ähnliche Wesen erscheinen mögen. Tatsächlich sind sie sich fremd, kaum können sie sich verständigen. Und auch wenn derjenige, der sich der Welt angepaßt und mit der Verfehlung abgefunden hat, den anderen, der, wie Luther übersetzt, »den guten Kampf des Glaubens kämpft« (1. Tim. 6, 12) und sich seiner Umgebung entgegenstellt, als überspannt und gesetzlich abtun wird: Er ist es doch selbst, der sich in eine heile Scheinwelt geflüchtet hat, die mit den tatsächlichen geistlichen Gegebenheiten nichts zu tun hat.

Petros erinnert (1. Petr. 4, 12ff):

Geliebte, laßt euch die unter euch zur Probe entstandene Feuersbrunst der Leiden nicht befremdlich sein, als ob euch etwas fremdes widerführe, sondern in dem Maße, wie ihr an den Leiden des Christos teilnehmt, freut euch, damit ihr auch bei der Enthüllung seiner Herrlichkeit frohlocken und euch freuen möget. Wenn ihr wegen des Namens des Christos geschmäht werdet, seid ihr glückselig, da der Geist der Herrlichkeit und der Kraft und der Geist Gottes auf euch ruht.

So haben diejenigen, die im geistlichen Kriegsdienst stehen, das Wissen, daß das, was ihnen widerfährt, im heutigen Zeitalter nichts befremdliches oder außergewöhnliches ist. Und sie haben die Zuversicht, daß sie nach bestandenem Kampf nicht mit ihren Verwundungen alleingelassen und von ihrem Dienstherrn vergessen werden.

Paulos erinnert Timotheos (2. Tim. 2, 3f, [Elbf. Übers.]):

Nimm teil an den Trübsalen als ein guter Kriegsmann Jesu Christi.
 Niemand, der Kriegsdienste tut, verwickelt sich in die Beschäftigungen des Lebens, auf daß er dem gefalle, der ihn angeworben hat.


Das sei denen zu bedenken gegeben, die so leben, als sei das Christsein eine immerwährende Kaffeefahrt.

[Quelle: http://www.geiernotizen.de/im-krieg]